Heimat: Die andere Heimat

Jetzt können wir, meine Angetraute und ich, auch mit reden: Wir waren endlich in “Die andere Heimat“. Man könnte meinen, bei einem Film der offiziell erst vorgestern angelaufen ist, ist ein Adverb wie “endlich” fehl am Platz. Weit gefehlt, denn kaum ein Ereignis hat die Region hier in letzter Zeit so aufgemischt wie der Premieren-Rummel letztes Wochenende, dem auch wir uns nicht gänzlich entziehen konnten. Just heute wird in Morbach, in Edgar Reitz Elternhaus das Cafe Heimat eröffnet, in welchem der geneigte Fan in Zukunft alles Mögliche rund um die filmische Heimat durchstöbern kann, so auch Requisiten, original Drehbücher und die gängige “Sekundärliteratur”.

Wann kommen schon einmal weltbekannte Film- Größen und die einschlägige Presse in so großer Zahl nach Simmern? Die in der Presse kolportierte Zahl von 100 Millionen Zuschauern, die Edgar Reitz mit seinem Epos erreicht hat, spricht an dieser Stelle für sich – wobei mich hier auch die Zählweise interessieren würde 😉

Neben dem Rummel leistet dieser Film einmal mehr ganz Erstaunliches und daher mein dringendes Bedürfnis darüber zu bloggen:

Unbestritten ist, dass Herr Reitz mit seinen Geschichten aus dem Hunsrück ebenso viel über diese wunderbare Gegend erzählt, ja vielleicht mehr, als über die eigentlich Handelnden. Das hat er schon in “Heimat” getan und bis heute in allen Projekten dieses Mikrokosmos wiederholt.

Ich denke ich schreibe für viele Hunsrücker, die bestimmt ähnlich empfinden wie ich, er hat damit unserer etwas schroffen Region ein Gesicht gegeben, weit über die Grenzen von Mosel und Nahe hinaus. In zweierlei Hinsicht finde ich das bemerkenswert:

Erstens bin ich als Mittvierziger aus Kirchberg mit “Heimat” groß geworden – ich werde unter vielem anderem, nie vergessen wie in Sichtweite von unserem Haus die Dreharbeiten mit den historischen Fliegern statt fanden, die dabei auch etwas Lack lassen mussten. So wie mir ging es nahezu jedem meiner Bekannten seinerzeit – irgendwo war immer irgendwie Dreharbeiten und irgendwer war immer irgendwie mit dabei, und das nicht nur in Schabbach.

Zweitens bin ich, wie so viele junge Menschen aus der Gegend, in die Ferne gezogen um mein Glück – und Ausbildung und so fort – zu suchen und nur durch Zufall hat es mich wieder auf den Hunsrück zurück verschlagen. Viele Freunde aus meiner Jugend bleiben für immer fort und auch heute ist es noch so, dass es für viele hier kein Auskommen oder keine Perspektive gibt. Diejenigen die bleiben, gehen in vielen Belangen teils nicht unerhebliche Kompromisse ein – um das zu erahnen muss man sich nur einmal an einem Montag- Morgen auf einem der einschlägigen Park-and-Ride- Parkplätze entlang der A61 postieren und beobachten was dort so abgeht.

Das porträtierte Gesicht ist bekannt und gleich wohin mich Studium oder Berufsleben zwischenzeitlich geführt haben, wenn es auf die Sprache nach Wurzeln kam, wurde ich sobald ich mich als Hunsrücker zu erkennen gegeben habe, auf Heimat angesprochen.

Edgar Reitz hat darüber hinaus den Begriff Heimat entkrampft und aus dem Dünkel rechtspopulistischer Deutungshoheit wieder in den Mittelpunkt der Gesellschaft gezerrt.Er hat hier erheblich zur Identitätsstiftung der Menschen aus den nicht so populären Regionen beigetragen, wie unsere Umweltministerin Ulrike Höfgen während ihrer Laudatio treffend bemerkte und das aus der Perspektive ihrer Eifeler Heimat. Dies ist kein rein auf den Hunsrück bezogenes Phänomen.

Über den künstlerischen Wert und die einschlägige Interpretation im Kontext der damaligen Auswanderungswellen mag ich mich hier gar nicht auslassen. Das haben andere genug getan, zum – mir gut gefallenden – Beispiel:

Alles in allem ist der Film dann in seiner Essenz “opulentes” neues deutsches Kino – konsequent umgesetzt und folgend dem Oberhausener Manifest, eben nicht mehr genügsam, heimelig und nachkriegsdeutsch kommerziell orientiert. Bemerkenswert finde ich daher auch die Szene, in welcher Werner Herzog in einem Gastauftritt als Alexander von Humboldt Edgar Reitz,  der es sich nicht nehmen lässt als Bauer auf dem Feld seine Sense zu dengeln, die Ehre erweist – wunderschön.

Insgesamt ist die Bildersprache gewaltig, unerbittlich in jeder Hinsicht und tief bewegend. Die Einstellung, wie die auswandernden Siedler in langen Wagenreihen den Hunsrück verlassen ist ein unfassbar eindrücklicher Moment. Schwarz- Weiß zeichnet die spuren des kargen Lebens seinerzeit in unglaublichem Kontrast.

Versöhnlicher – im Sinne von nicht mehr so aufgekratzt – stimmt mich dann doch wieder die Tatsache, das ein oder andere mehr oder weniger persönlich bekannte Gesicht aus meinem Freundeskreis bzw. der lokalen Szene der Kulturschaffenden zu sehen. Sei es Jürgen Thelen als Werber (Mit dem Federhut ?), Julia Prochnow oder Hotte Schneider, um einmal den Reigen der Hauptdarsteller zu verlassen. Auch das beinahe eine Tradition, seit der ersten Heimat, mit lokalen Laiendarstellern zu arbeiten und ein Entschluss, der meiner Meinung nach viel Mut erfordert und für den ich  Edgar Reitz nach wie vor bewundere.

Insofern: bitte anschauen!

kyp.f.

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